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Vegane Produkte liegen im Trend. Allein in Deutschland stieg die Produktion vegetarischer und veganer Fleischersatzprodukte von 2019 bis 2021 um 62,2 Prozent (Statistisches Bundesamt). Was das mit Wein zu tun hat? VINOWO bringt Ihnen den Unterschied zwischen veganem und nicht-veganem Wein näher, räumt mit Mythen auf und erklärt, warum veganer Wein nicht unbedingt ökologisch sein muss.

Ist nicht jeder Wein vegan?

Wer zum ersten Mal von veganem Wein hört, stellt sich zu Recht die offensichtlichste aller Fragen. Wein wird schließlich aus Trauben gekeltert und Trauben sind zweifelsfrei vegan, also wo liegt das Problem? Die Definition veganer Produkte des Deutschen Lebensmittelverbands verrät uns den entscheidenden Hinweis: Nicht nur das Endprodukt muss frei von tierischen Produkten sein, sondern jeder Herstellungsschritt des Lebensmittels – unabhängig davon, ob im fertigen Produkt Rückstände verbleiben. Relevant wird diese Eingrenzung nicht im Weinberg, wo herkömmliche und vegane Weine dieselben Voraussetzungen besitzen, sondern im Keller. Präziser: Während der Klärung, auch Filtrierung oder Schönung genannt.

Dieser Prozess verwandelt trüben Wein in ein klares Produkt, wie es vom Gros der Konsumenten bevorzugt wird. Als angenehmer Nebeneffekt der Klärung tritt oftmals eine harmonischere Gerbstoffstruktur zutage. Zum Zwecke der Filtrierung kommen seit Jahrhunderten tierische Produkte zum Einsatz: Vor allem Eiklar, an das sich die Trübstoffe im Wein binden und am Boden absetzen, ist ein beliebtes Mittel. Etwa drei Eiklar genügen für 100 Liter Wein. Alternativ werden getrocknete Schwimmblasen von Fischen (Hausenblasen), das Milchprotein Casein oder Gelatine genutzt. Sobald das jeweilige Bindemittel seinen Job erledigt hat, wird der geschönte Wein von oben abgezogen und enthält (zumindest theoretisch) keine tierischen Rückstände mehr.

Veganer Wein: Pflanzliche Mittel zur Schönung

Da keine Rückstände existieren, besteht laut EU keine Kennzeichnungspflicht auf der Flasche. Für Veganer, die ihren Lebensstil ernst nehmen, bleiben jedoch zwei Probleme: Erstens sind minimalste Rückstände in vielen Fällen Realität, zweitens ist der Wein mit tierischen Hilfsstoffen in Kontakt geraten. Diese Gründe verleihen veganem Wein seine Berechtigung. Während seiner Herstellung werden tierische Stoffe durch pflanzliche Hilfsmittel ersetzt, die ebenfalls zur Klärung geeignet sind. Der Werkzeugkasten ist umfangreich: Neben Aktivkohle, Kalkstein und der Mineralerde Bentonit kommen Kaolin, Kieselgel sowie pflanzliche Proteine aus Bohnen, Erbsen und Kartoffelstärke zum Einsatz. Im Vergleich zu tierischen Hilfsstoffen ergeben sich weder Mehrkosten für den Winzer noch geschmackliche Unterschiede im Wein.

Unfiltriert: Veganer Wein ohne Kennzeichnung

Eine zweite Möglichkeit zur Herstellung veganen Weins besteht im Verzicht auf die Filtration. Ob die Klärung stattfinden sollte, ist momentan ein heiß diskutiertes Thema in der Weinszene: Während Befürworter der Schönung vor allem die höhere biologische Stabilität des Weins (Vermeidung von Nachgärungen) hervorheben und das Entfernen potenzieller Verunreinigungen loben, kritisieren Gegner einen Aromaverlust. Trübstoffe sind Geschmacksträger. Wer sie herausfiltert, entzieht dem Wein zumindest einen Teil seiner Seele. Eine zunehmende Anzahl internationaler Top-Weingüter entscheidet sich gegen die Schönung – erstens wegen des intensiveren Aromas, zweitens, um das Mundgefühl (Textur, Tannine, Säure) positiv zu beeinflussen. “Naturweine”, die eine möglichst niedrige menschliche Intervention beabsichtigen, entwickeln sich seit einigen Jahren zu einem riesigen Trend. Die gute Nachricht für alle Veganer: Unfiltrierter Wein erfordert per Definition keine tierischen Produkte zur Herstellung. Die schlechte Nachricht: Viele Erzeuger heben auf ihren Etiketten weder die fehlende Klärung noch den veganen Status hervor, sodass viele vegane Weine ohne Recherche nicht als solche zu identifizieren sind.

Keine einheitlichen Labels

Apropos Identifikation: Trotz des wachsenden Trends um veganen Wein existieren bislang keine einheitlichen europäischen Labels, die Weintrinker über den veganen Status des Genussmittels informieren. Viele Winzer nutzen deshalb Siegel von Organisationen wie beispielsweise der Europäischen Veganer-Union oder dem Vegetarierbund Deutschland. Der Vorteil: Im Supermarkt oder beim Weinhändler lässt sich sofort erkennen, ob das Getränk mit dem veganen Lifestyle vereinbar ist. Der Nachteil: Viele Verbraucher assoziieren vegane Labels fälschlicherweise mit höheren Qualitätsstandards und ökologischer Herstellung, weil diese Eigenschaften in den meisten übrigen Lebensmittelkategorien (insbesondere Fleischersatzprodukte) auf vegane Produkte zutreffen. Zumindest der vegane Status ist durch die Kennzeichnungen jedoch garantiert. Auch in der Gastronomie bereichern viele Restaurantbetreiber ihre Weinkarten um vegane Alternativen, die unmissverständlich als solche gekennzeichnet sind.

Ist veganer Wein hochwertiger?

Ein wichtiger Punkt darf in der Diskussion um veganen Wein nicht zweitrangig werden: Sein Genussfaktor. In unseren Gläsern schwenken wir kein Grundnahrungsmittel, sondern ein emotionales Getränk, das schöne Momente erschaffen und begleiten soll. Steht nun ein durchschnittlich informierter Käufer vor dem Weinregal, wird er vegane Kennzeichnungen höchstwahrscheinlich mit guter Qualität und somit zumindest indirekt einem höheren Genuss (relativ zu konventionellem Wein) assoziieren. In Wahrheit sind beide Größen jedoch unkorreliert. Die Tatsache, ob ein Wein hochwertig ist und gut schmeckt, hat nichts mit seinem veganen Status zu tun. Dasselbe gilt übrigens für Bio-Weine. Sowohl vegane Weine als auch Bio-Weine werden in allen erdenklichen Preisklassen hergestellt. Ob das Endprodukt im Glas überzeugt, hängt maßgeblich von der Qualität des Lesegutes und dem Talent des Winzers ab. Bewegen sich beide Kriterien auf niedrigem Niveau, ändert das schönste Vegan-Label nichts an der schlechten Weinqualität.

Unser Tipp: Fragen Sie einen vertrauenswürdigen Weinhändler nach unfiltrierten beziehungsweise veganen Weinen, um gute Qualität zu erhalten. Im Supermarkt kann das Score-System der App “Vivino” eine nützliche Hilfestellung sein, die eine erste Vorstellung der Beliebtheit und Qualität vermittelt.

Vegan bedeutet nicht ökologisch

Viele Menschen, die eine vegane Ernährung verfolgen, legen gleichzeitig hohen Wert auf die ökologische Nachhaltigkeit ihrer Lebensmittel. Im Falle des veganen Weins sind beide Kriterien jedoch völlig unabhängig voneinander. Ob ein Erzeuger nicht-tierische Hilfsmittel bei der Filtration einsetzt oder die Klärung gänzlich unterlässt, steht auf einem anderen Blatt als die Erfüllung von Bio-Kriterien. Das EU-Bio-Siegel beispielsweise verbietet den Einsatz von Herbiziden, schränkt Pestizide ein, legt Höchstwerte für Sulfite fest und lässt keine gentechnisch veränderten Organismen zu. Theoretisch könnte ein trickreicher Winzer also sämtliche Maßnahmen entgegen der Bio-Richtlinien ergreifen, jedoch ohne Eiklar oder ein anderes Hilfsmittel filtern und mit dem Vegan-Label den Anschein ökologischer Produktion erwecken. Im untersten Preissegment sind derartige Strategien zur Verkaufsförderung häufiger anzutreffen. Veganer Wein – in diesen Tagen ein starkes Marketing-Instrument.

Die gute Nachricht: Wer sich aus dem unteren Supermarktregal wegbewegt und qualitätsorientierte Weine ins Auge fasst, wird häufig einen engen Zusammenhang zwischen veganer Herstellung und Bio-Kriterien entdecken. Viele vegane Winzer legen gleichzeitig Wert auf ökologische Nachhaltigkeit.

Vegane Winzer: Empfehlungen

Eines der renommiertesten Weingüter der österreichischen Wachau-Region, F.X. Pichler, führte im Jahr 2021 mit seinem Riesling “Unendlich” das Falstaff-Ranking der besten veganen Weine an. Der Weißwein gilt als Flaggschiff des legendären Erzeugers, kostet jedoch über 200 Euro. Auch das ikonische Kirchenstück Riesling GG des Weingutes Reichsrat von Buhl und der “Ungeheuer” Riesling von Dr. Bürklin-Wolf, beide aus der Pfalz, zählen zu den renommiertesten veganen Weinen Deutschlands. Generell steht Bürklin-Wolf durch seine biodynamische Anbauweise für Nachhaltigkeit und führt viele vegane Weine im Sortiment.

Unser Ratschlag:
Durchstöbern Sie die Sortimente renommierter Online-Händler wie beispielsweise Hawesko, die vegane Weine als separate Kategorie anbieten.

Laut Falstaff zählen neben Pichler auch die österreichischen Winzer Bründlmayer (Kamptal) und Sattlerhof (Südsteiermark) sowie die deutschen Erzeuger Philipp Kuhn (Pfalz) und Hans-Peter Ziereisen (Baden) zu den besten Produzenten, die vegane Weine auf den Markt bringen.

Fazit: Die Zukunft veganen Weins

Vegane Herstellungsweisen werden voraussichtlich eine steigende Rolle in der zukünftigen Weinindustrie spielen. Nicht nur der allgemeine Trend zu Veganismus, sondern auch der Hype um “Naturweine” sowie ein stärkeres Interesse des Konsumenten an Herkunft und Qualität seiner Weine verleihen veganen Tropfen einen Aufschwung. Nicht filtrierter, ungeschönter Wein erfährt zunehmende Aufmerksamkeit in der Szene, weil seine Verbreitung ebenso steigt wie das Bewusstsein für potenzielle Geschmacksverluste während der Klärung. Normalen Konsumenten, die kein spezielles Interesse an Winzern und Herstellungsweisen besitzen, sollte die Entscheidung für veganen Wein erleichtert werden: Einheitliche Labels oder zumindest eine deutliche Kennzeichnung unfiltrierter beziehungsweise vegan geschönter Weine seitens der Erzeuger würden die Transparenz erhöhen.

Wer keinen veganen Lebensstil verfolgt, muss kein besonderes Augenmerk auf vegane Weine legen. Erstens ist der Status kein Indikator für Qualität, zweitens muss er nichts mit biologischen Herstellungsweisen zu tun haben. Top-Winzer, die veganen Wein anbieten, führen die Rankings von Falstaff, Wine Spectator und Co. nicht aufgrund angepasster Hilfsmittel der Schönung an, sondern infolge ihrer generell hohen Standards – vom Weinberg bis zur Expertise des Kellermeisters.

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